Dieses Rezension erschien zunächst im englischen Original im New York Review of Books Volume 56, Number 2 vom 12. Februar 2009. Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Von William Dalrymple aus Lahore, Pakistan
Die relative Ruhe im Irak in den letzten Monaten sowie das „Schauspiel“ der US-Wahlen haben die Aufmerksamkeit von der Katastrophe abgelenkt, die Zusehens westliche Interessen in einem Teil der Welt verdrängt, der immer im Mittelpunkt von Amerikas Reaktion auf den 11. September hätte stehen müssen: dem Kernland von al-Qaida und Taliban auf beiden Seiten der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan.
Die Lage dort könnte kaum finsterer sein. Die Taliban haben sich reorganisiert. Sie sind aus ihren sicheren Rückzugsgebieten in der Grenzregion bis an die Tore Kabuls vorgerückt und drohen nun die Hauptstadt zu umzingeln - ähnlich wie es einst die von den USA unterstützten Mujaheddin mit dem von den Sowjets installierten Regime in den späten 80er Jahren getan haben. Wie bei der Wiederholung eines alten Films so ist auch das Verlassen der afghanischen Hauptstadt wieder einmal nur in Panzern, gepanzerten Fahrzeugen oder per Hubschrauber möglich. Die Taliban kontrollieren mittlerweile über 70 Prozent des Landes - im November 2007 waren es noch knapp über 50%. Sie erheben Steuern und setzen die Sharia sowie ihre rauen Gesetze durch. Bis zu einem gewissen Grad haben die Taliban sogar Erfolg mit der Eindämmung von Kriminalität und Korruption, die besonders kennzeichnend für die Regierung unter Karzai war. Dies ist auch einer der wichtigsten Gründe für ihre wachsende Popularität - mit jedem Monat vergrößert sich ihr Einflussbereich.
Wachsender Einfluss der Taliban
Die Auswirkung des Afghanistankonflikts auf Pakistan ist dabei noch viel schwerwiegender. In weniger als acht Monaten hat die neue Regierung unter Asif Ali Zadari die Kontrolle eines Großteils der Nordwestgrenzprovinz (NWFP) an das pakistanische Pendant der Taliban verloren - einem eher losen Verbund von Nationalisten, Islamisten und verärgerten paschtunischen Stammesangehörigen unter nominellem Kommando von Baitullah Mehsud. Nur wenige hatten sehr hohe Erwartungen an Zadari, den notorisch korrupten und playboyhaften Witwer Benazir Bhuttos, aber die Geschwindigkeit des Zusammenbruchs unter seiner Führung hat doch fast alle Beobachter erstaunt.
In weiten Teilen der Nordwestgrenzprovinz - rund ein Fünftel Pakistans - offenbart sich der Einfluss der Taliban: Frauen sind gezwungen, die Burka zu tragen, Musik wurde abgeschafft, Friseuren ist es verboten, Bärte zu rasieren und mehr als 140 Mädchenschulen wurden in die Luft gesprengt oder abgebrannt. Ein wesentlicher Teil der städtischen Elite sowie viele Musiker sind mittlerweile aus der Provinzhauptstadt Peshawar in relativ sichere und tolerantere Städte wie Lahore oder Karachi abgewandert. Des Weiteren sind zehntausende Menschen aus den krisengeschüttelten semiautonomen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas, FATA), die sich entlang der afghanischen Grenze erstrecken, vor Raketenangriffen unbemannter US-amerikanischer Drohnen und Angriffen pakistanischer Kampfhubschrauber in Flüchtlingslager um Peshawar geflohen.
140 Mädchenschulen in die Luft gesprengt oder abgebrannt
Die Stammesgebiete befanden sich nie vollständig unter der Kontrolle irgendeiner pakistanischen Regierung, sie waren immer unregierbar. Mittlerweile sind sie radikalisiert wie nie zuvor. Der fortdauernde Beschuss durch US-Kampfdrohnen und pakistanischen Bodenstreitkräften fordert zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung und verschafft den Aufständischen täglich Zulauf von wütenden Soldaten. Gleichzeitig gedeiht anti-westlicher, religiöser und politischer Extremismus überall in Pakistan.
Der alarmierendste Ausdruck dafür war die Leichtigkeit, mit der eine sehr gut ausgebildete Jihadi-Gruppe, wahrscheinlich unterstützt und ausgerüstet von Pakistan, das benachbarte Indien im November angegriffen hat. Es handelt sich dabei vermutlich um die verbotene Lashkar-e-Taiba, eine Organisation, deren Ziel die Wiederherstellung muslimischer Herrschaft in Kaschmir ist. Sie töteten 173 unschuldige Menschen in Bombay, verletzten über 600, und brachten die beiden nuklear bewaffneten Rivalen erneut an den Rand eines Krieges. Die Angreifer kamen auf dem Seeweg. Sie nutzen Boote, die zu Fischerdörfern entlang der Makranküste gehören und die nach dem Angriff auf Tora Bora im Jahr 2001 durch die Amerikaner bereits einer Reihe von al-Qaida-Verdächtigen halfen, über den Arabischen Golf aus Pakistan zu verschwinden.
Von Pakistan ausgebildete Jihadis
Bei einer Reise nach Pakistan im November, habe ich versucht Peshawar - Hauptstadt der Nordwestgrenzprovinz und Verwaltungszentrum für FATA - zu besuchen. Doch zum ersten Mal seit 25 Jahren wurde ich von befreundeten pakistanischen Journalisten gewarnt, nicht einmal den Versuch zu unternehmen dorthin zu fahren. Innerhalb einer Woche hat eine beispiellose Reihe von Ereignissen meine Meinung geändert.
Bei einem Überfall am Montag, den 11. November, erbeuteten rund 60 pakistanische Taliban 13 Lastwagen mit militärischem Nachschub sowie eine Flotte von Geländerfahrzeugen (Humvees), die über den Khyber-Pass auf dem Weg zu US-Truppen in Afghanistan waren. 26 Personen wurden entführt. Am nächsten Tag entgingen der Gouverneur und einige Minister der Nordwestgrenzprovinz bei einem Selbstmordanschlag nur knapp dem Tod als sie gerade ein Stadion verließen. Bei dem Angriff starben drei Menschen. Am Mittwoch jener Woche erschossen Unbekannte Stephen Vance, einen US-amerikanischen Entwicklungshelfer und entführten einen iranischen Diplomaten, der sich nun wie auch die chinesischen Ingenieure, pakistanischen Lkw-Fahrer und afghanischen Diplomaten, in Gefangenschaft der Taliban befindet. Am Donnerstag wurde auf zwei Journalisten - einen Japaner und einen Afghanen - geschossen. Beide wurden verwundet. Peshawar scheint plötzlich so gefährlich zu werden, wie Bagdad zu Zeiten des Aufstandes vor drei Jahren.
Peshawar so gefährlich wie Bagdad ?
All dies ereignete sich in einem Vakuum, das der Ministerpräsident von NWFP und Chef der derzeit regierenden Awami National Party (ANP), Asfandyar Wali Khan, durch seine vorübergehende Flucht aus der Provinz hinterließ. Dies geschah nach einem Selbstmordanschlag am 2. Oktober während Khan Besucher der Eid-Feierlichkeiten zum Ende des Fastenmonats Ramadan begrüßte. Drei Gäste und einer seiner Mitarbeiter wurden getötet. Unmittelbar nach dem Anschlag floh ein fassungsloser Asfandyar in einem von Zardari geschickten Hubschrauber aus der Provinz, und flog anschließend direkt weiter nach Großbritannien. Nur mit Mühe konnte er zur Rückkehr überredet werden. Im Februar 2008 wurde Asfardyars Partei mit großer Mehrheit gewählt und brach damit die Macht der Islamischen Allianz MMA, eine Koalition islamischer Gruppen, welche die Provinz in den letzten fünf Jahren regiert hatte und die Grenzpolitik maßgeblich bestimmte. Die Wahl schien für kurze Zeit ein Hoffnungsschimmer für die säkulare Demokratie zu sein, doch diese Hoffnung wurde alsbald durch den unaufhaltsamen Vormarsch der pakistanischen Taliban aus FATA wieder zerstört.
Seitdem gab es weitere Selbstmordanschläge und gewagte Überfälle auf US-Konvois und Depots in und um Peshawar. Unter anderem gab es einen Anschlag, bei dem 200 LKWs, dutzende Humvees und gepanzerte Personenfahrzeuge in Brand gesteckt wurden, und einen, bei dem die Taliban 50 Container mit Nachschublieferungen erbeuteten. Anderen, zivilen Konvois wurde die Durchfahrt erlaubt, jedoch erst nach Zahlung eines Wegezolls an die Taliban, die faktisch den Khyber Pass, den Hauptverkehrsweg zwischen Pakistan und Afghanistan kontrollieren. Derzeit kommen mehr als 70 Prozent des Nachschubs für die US-Truppen in Afghanistan über Peshawar durch NWFP und damit auch über den Khyber-Pass. Die USA versuchen derzeit, alternative Versorgungswege für ihre Truppen in Afghanistan zu organisieren, so über einige zentralasiatische Republiken wie Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, und Kirgisistan, wo sich die wichtige Manas Air Base befindet. Doch haben sich diese Staaten seit 2001 deutlich radikalisiert.
Die Taliban kontrollieren den Khyber-Pass
Weit entfernt von der Grenze, in Pakistans künstlerischer Hauptstadt Lahore im Herzen des wohlhabenden Punjab, ist die normalerweise recht widerstandsfähige liberale Elite deprimierter, als jemals zuvor. Zum einen aufgrund des Vormarschs der Taliban und zum anderen wegen der wirtschaftlichen Probleme, die vor Kurzem dazu führten, dass Pakistan den IWF um einen Kredit von 7,6 Milliarden US-Dollar ersuchen musste. Als ich in Pakistan ankam, war ich auf dem Weg zu Najam Sethi und seiner Frau Jugnu, den Herausgebern der englischsprachigen Zeitungen Daily Times und Friday Times, die sich beide mittlerweile selbst im Fadenkreuz der Taliban befinden. Bereits drei Wochen zuvor erhielten sie Faxe, in denen ihnen mit Gewalt gedroht wurde, sollten sie nicht aufhören, islamistische Interessen in ihren Kolumnen anzugreifen. Auch an diesem Morgen war ein solches Fax angekommen. Beide haben unerschrocken Jahre der Belästigung durch verschiedene Regierungen und Behörden überstanden, doch fühlen sie sich diesen anonymen Drohungen gegenüber machtlos.
Auch die bemerkenswerte Menschenrechtsaktivistin Asma Jahangir hat Warnungen per Fax erhalten - in ihrem Fall, auf die Hilfe für Opfer von Ehrenmorden zu verzichten. Asma, die bereits mutig gegen verschiedene Militärregime gestellt hat, ist ebenfalls ratlos: „Niemand ist mehr sicher“, sagte sie. „Wenn man von einer Regierung bedroht wird, kann man es auf rechtlichem Wege mit ihnen aufnehmen. Aber bei nichtstaatlichen Akteuren - wenn selbst Regierungsangehörige nicht mehr sicher sind – an wen soll man sich wenden? Wo soll man Schutz suchen?“
Ahmed Rashid: „Descent into Chaos“
Diese Ereignisse illustrieren ganz drastisch Ahmed Rashids zentrale Behauptung in seinem brillanten und leidenschaftlichen Buch Descent into Chaos. Im gesamten Buch betont Rashid, in welchem Ausmaß, sieben Jahre nach dem 11. September, „der von den USA angeführte Krieg gegen den Terrorismus in seinen Nachwirkungen eine weit instabilere Welt hinterlassen hat, als sie an jenem folgenschweren Tag im Jahre 2001 existierte“:
„Anstatt eingedämmt zu werden, ist die Bedrohung durch al-Qaida und ihren Verbündeten gewachsen. Sie hat weitere Regionen Afrikas, Asiens und Europas erfasst und Angst unter den Völkern von Australien bis nach Sansibar hervorgerufen. Die US-Invasion in zwei muslimischen Ländern … konnte bisher weder Ursprungsorganisation noch die Gefahr durch Trittbrettfahrer in britischen oder französischen Städten, die über das Internet mobilisiert wurden, eindämmen. Trotz der größten Fahndung in der Geschichte, befindet sich die al-Qaida-Führung noch immer auf freiem Fuß.
Afghanistan starrt einmal mehr in den Abgrund des staatlichen Zusammenbruchs, trotz der Milliarden Dollar Hilfe, der 45.000 westlichen Truppen und des Todes Tausender Menschen. Den Taliban ist ein dramatisches Comeback gelungen.... Die internationale Gemeinschaft hatte über mehrere Jahre zahlreiche Möglichkeiten, dem afghanischen Volk zu helfen – hat sie jedoch nicht genutzt.
Pakistan ... hat einen langsameren, aber ebenso blutigen Niedergang erlebt.... Im Jahr 2007 gab es 56 Selbstmordanschläge in Pakistan, bei denen 640 Menschen getötet wurden. Im Vorjahr gab es im Vergleich dazu nur 6 Bombenanschläge....
2008 ist die US-amerikanische Macht zerschlagen.... ihre Glaubwürdigkeit liegt in Trümmern.... Letztendlich haben die Strategien der Bush-Regierung eine weitaus größere Krise in Süd- und Zentralasien herbeigeführt, als sie vor dem 11. September existierte.“
Krise in Süd- und Zentralasien größer als sie vor dem 11. September
Es ist schwierig, diesen Aussagen nicht zuzustimmen. Acht Jahre NeoCon-Außenpolitik sind zu einem spektakulären Desaster für die amerikanischen Interessen in der islamischen Welt geworden. Sie haben zum Aufstieg Irans zu einer wichtigen Regionalmacht, zum Vorstoß von Hamas und Hisbollah und zum Niedergang Iraks mit über zwei Millionen externen Flüchtlingen und ethnischen Säuberungen seiner christlichen Bevölkerung geführt. Die wohl gefährlichste aller Entwicklungen ist der derzeitige Zusammenbruch Afghanistans und Pakistans.
Ahmed Rashids Buch zeigt überzeugend, wie sich in den Jahren seit 2001 der mittel- und südasiatische Anteil dieser Tragödie gestaltet hat. Rashid gilt seit langem als ein Experte auf dem Gebiet der Politik Pakistans, Afghanistans und Zentralasiens, und sein Haus in Lahore ist seit vielen Jahren die erste Anlaufstelle für zahlreiche Journalisten und Schriftsteller gewesen. Als urbaner, witziger, belesener, in Cambridge ausgebildeter Lebenskünstler, mit einer spanischen-galizischen Frau, ist er ein Schriftsteller, dessen Gemüt einen schon mal zweierlei Dinge vergessen lassen: den ungeheuren Mut seiner über dreißigjährigen durchweg unerschrockenen Berichterstattung in einer solch gefährlichen Umgebung - erst kürzlich wurde Rashid von der pakistanischen Taliban zum Tode verurteilt - und sein tiefgründiges Wissen und Erfahrung, die seiner Arbeit Aussagekraft verleihen. Rashid, der auch Artikel für die The New York Review verfasst, erlangte weltweite Aufmerksamkeit nach den islamistischen Anschlägen auf Amerika, als sein Buch Taliban als einzig ernst zunehmende Arbeit über jenes Regime, das al-Qaida Schutz gewährte, wahrgenommen wurde. Daraufhin verkauften sich innerhalb kürzester Zeit fast 1,5 Millionen Exemplare in sechsundzwanzig Sprachen weltweit.
Ahmed Rashid- 30 Jahre unerschrockene Berichterstattung
In seinem neuen Buch untersucht Rashid insbesondere die Ursachen des Terrorismus in der Region und wie die Bush Administration versucht hat, Untersuchungen über die Ursachen gewaltsamen Widerstandes so vieler Menschen in Süd- und Zentralasien gegen den amerikanischen Einfluss zu verhindern. Ernsthafte Analysen wurden unter den Teppich gekehrt, womit „jede Diskussion oder Verständnis für die Wurzeln des Terrorismus – die zunehmende Armut, Unterdrückung und das Gefühl von Ungerechtigkeit, das viele Muslime gegenüber ihren US-gestützten Regierungen hatten, was wiederum den Anti-Amerikanismus und islamischen Extremismus verstärkte, unmöglich gemacht wurde.... Bush hat mehr dafür getan, die Amerikaner über das Weltgeschehen im Unklaren zu lassen als jede andere amerikanische Führung in der jüngsten Geschichte.“
Stattdessen wurde der Terrorismus von der Regierung als Folge eines „plötzlichen weltweiten Anti-Amerikanismus und nicht als Ergebnis der bisherigen politischen Fehler Amerikas" dargestellt. Bushs Rede im Kongress, in der er behauptete, dass die Welt Amerika hasse, weil „sie unsere Freiheiten – unsere Religionsfreiheit, unsere Redefreiheit, unsere Wahlfreiheit hassen" ignorierte den politischen Elefant im Porzellanladen - die US-Außenpolitik, vor allem im Nahen Osten, mit ihrer langen Geschichte von unpopulären Interventionen in der islamischen Welt und ihrer unkritischen Unterstützung von Israels kontinuierlichen Besiedlung des Westjordanlandes und der gewaltsamen Unterdrückung der Palästinenser. Zu Recht hat das Department of Defense Science Board in Reaktion auf Bushs Rede darauf hingewiesen: „Muslime hassen nicht unsere Freiheit, sondern vielmehr hassen sie unsere Politik."
Irrationaler Hass auf Amerika ?
Es war zum Teil auch die offene Feindseligkeit gegenüber dem Islam sowohl von Seiten der Presse als auch der Regierung der Vereinigten Staaten, die es den moderaten Kräften in der islamischen Welt so schwer machte, gegen die Propaganda der Extremisten anzukommen. Wie hätten die Gemäßigten auch die Auffassung abstreiten können, dass sich Amerika in einem zivilisatorischen Krieg gegen den Islam befand, wenn dies tatsächlich viele innerhalb der Regierung und auch ihre Fürsprecher in der Presse glaubten? Das hatte auch einen sehr negativen Einfluss auf politische Entscheidungen. Durch die Erzeugung öffentlicher Hysterie und Darstellung einer von irrationalen Hass auf Amerika zerfressenen islamischen Welt wurde unter den Amerikanern ein unausgesprochenes Empfinden geschaffen, dass, „wenn sie uns hassen“, so Rashid, „dann sollten Amerikaner die Muslime auch hassen und nicht nur gegen die Terroristen sondern gegen den Islam im Allgemeinen Vergeltung üben. Durch die Erzeugung solcher Ängste war es praktisch unmöglich die Aufmerksamkeit und Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit für langfristiges nation building zu gewinnen.“
Es ermöglichte außerdem ein umfassendes System von Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung – dem Folter- und „Überführungs“-programm, das Rashid mit einer schockierenden und kompromisslosen Klarheit beschreibt. Neben dem Imageverlust der USA im Ausland hat dies auch die Repression unter seinen regionalen Verbündeten gefördert: „Indem sie dem amerikanischen Vorbild hinsichtlich der Unterstützung oder Duldung von Verschleppungen, Folter und geheimen Gefängnissen nachahmten, wurden diese Länder auf dem Weg zur Demokratie und in ihrem Kampf gegen den islamischen Extremismus um Jahrzehnte zurückgeworfen", schreibt Rashid.
Geheimdienst Pakistans fördert islamistische Gruppen
Doch während er einen Teil der Schuld für die aktuelle Katastrophe der „Arroganz und Ignoranz“ der amerikanischen Regierung zuschreibt, so ist sich Rashid bewusst, dass ein großer Teil der Verantwortung der pakistanischen Armee und ihres Inter-Services Intelligence Agency (ISI) angelastet werden muss. Seit mehr als zwanzig Jahren hat der ISI für eigene Zwecke eine Vielzahl von islamistischen Gruppen bewusst und konsequent gefördert und herangezüchtet, insbesondere Jaish-e-Mohammed und Lashkar-e-Taiba. Seit den Tagen der antisowjetischen Mudschaheddin betrachtete die pakistanische Armee die Jihadis als ein geniales und kosteneffizientes Mittel, um einerseits Afghanistan zu dominieren – was sie schließlich mit dem Rückzug der Sowjets im Jahre 1987 erreichten - und andererseits die indische Armee in Kaschmir festzusetzen - womit sie seit 1990 erfolgreich sind.
Wie Hamid Gul, Leiter des ISI, der im Wesentlichen für die Entwicklung dieser Strategie verantwortlich war, mir einmal erklärte, wenn der ISI „die Kaschmiris unterstützt, dann ist das nur verständlich." Er sagte: „Die Menschen in Kaschmir haben sich in Übereinstimmung mit der UN-Charta erhoben, und es ist das nationale Anliegen Pakistans, ihnen zu helfen sich zu befreien. Wenn die Jihadis da raus gehen und Indien zurückdrängen, ihre Armee aus legitimen Gründen auf ihrem eigenen Boden binden, warum sollten wir sie dann nicht unterstützen?" Neben ihm in seinem Wohnzimmer liegt ein großes Stück Berliner Mauer, das ihm von den Berlinern für die „Durchführung des ersten Schlages" gegen das sowjetische Imperium durch den Einsatz von Jihadis in den 1980er Jahren überreicht wurde.
Jihadis als Werkzeug für Pakistans Außenpolitik
Für Gul war die Nützlichkeit der Jihadis naheliegend, und mit dieser Ansicht war er nicht alleine. So schreibt Steve Coll in Ghost Wars:
„Jeder pakistanische General, liberal oder religiös, glaubte seit 1999 an die Jihadi-Kämpfer, nicht aus persönlicher islamischer Überzeugung sondern zumeist weil sich die Jihadis über viele Jahre hinweg als eine Kraft erwiesen haben, die in der Lage ist, die Hindu-dominierte indische Armee einzuschüchtern, zu verwirren und festzusetzen. Rund ein Dutzend indischer Divisionen wurden in den späten 1990er Jahren in Kaschmir eingesetzt, um ein paar tausend gut ausgebildete, Paradies-suchende Guerillas niederzuschlagen. Was sollte Pakistan da noch hinterfragen?“
Aus diesem Grund glauben nach wie vor viele innerhalb der Armee, dass die Jihadis eine geeignetere Verteidigung gegen die indische Dominanz darstellen als nukleare Waffen. Für sie ist die Unterstützung einer Reihe von Jihadi-Gruppen in Afghanistan und Kaschmir keine ideologische oder religiöse Marotte sondern vielmehr ein praktischer und patriotischer Imperativ – eine wesentliche Überlebensstrategie für einen pakistanischen Staat, der sich durch die stetig wachsende Macht Indiens und dessen Allianz mit dem feindlichen Karzai-Regime in Kabul bedroht sieht.
Kontrollverlust
Die Militärs vom „alten Schlag“ waren bis vor Kurzem noch davon überzeugt, dass sie die Militanten, die sie gefördert hatten, kontrollieren könnten. In einem aufgezeichneten und von Indien 1999 veröffentlichten Gespräch zwischen dem damaligen General Pervez Musharraf und Muhammad Aziz Khan, dessen Chef des Generalstabs, sagte Aziz, dass sich die Armee die Jihadis als ihre „tooti“ (Gefreite) hält. Doch während einige beim ISI noch immer glauben, dass sie die Jihadis für ihre eigenen Zwecke verwenden könnten, haben die Islamisten zunehmend ihre eigenen Pläne verfolgt, in dem sie Selbstmordattentäter schicken, die nicht nur Pakistans religiöse Minderheiten und politische Führer angreifen, sondern auch das ISI-Hauptquartier in Camp Hamza. Dies galt als ein offensichtlicher Racheakt dafür, dass die Armee ihre Unterstützung für Amerikas Krieg gegen den Terror erklärte, und das pakistanische Militär Taliban-Hochburgen in FATA angriff. Ironischerweise, wie Rashid deutlich macht, waren es genau solche Gruppen wie Lashkar-e-Taiba, die ursprünglich vom ISI geschaffen wurden und nun ihre Waffen gegen ihre Schöpfer richteten und zudem gut ausgestattete und ausgebildete Jihadi-Truppen auf indischem Territorium einsetzen. Damit schädigen sie ernsthaft pakistanische Interessen im Ausland und bringen das Land an den Rand eines Krieges, den es unmöglich gewinnen kann.
Es war der Militärdiktator General Zia ul-Haq, zwischen 1978 und 1988, der für die Initiierung der fatalen Allianz zwischen dem konservativen pakistanische Militär und den ebenso reaktionären Mullahs verantwortlich war, die zum Einsatz pakistanischer islamischer Radikaler im anti-sowjetischen Jihad in Afghanistan geführt hat. Ihre Rekrutierung wurde immer vom ISI kontrolliert, aber ursprünglich gemeinsam von der CIA und dem saudischen Geheimdienst finanziert. Militante Moscheen wie die Lal Masjid in der Nähe des ISI-Hauptquartiers im Zentrum Islamabads wurden zu Rekrutierungszentren für potenzielle Mudschaheddin und Orten, an denen die Geheimdienste mit jungen Radikalen in Verbindung treten konnten.
Allianz zwischen konservativen Militärs und reaktionären Mullahs
Diese entscheidende Periode unter Zia als die Jihadis erstmals von Nutzen für den pakistanischen Staat waren, wurde von Shuja Nawaz, dem in Washington lebenden Bruder eines ehemaligen pakistanischen Armee-Chefs, in seinem Buch über die Geschichte der pakistanischen Armee brillant beschrieben. Eine der interessantesten Passagen in dem Buch beschreibt die "seltsam nicht-militärische Atmosphäre" beim ISI in den frühen 1990er Jahren nach dem Ende der Amtszeit eines der islamistischsten Direktoren der Behörde, dem von Zia ernannten Generalleutnant Javed Nasir. Als sein Nachfolger das Amt übernahm, sah er „Korridore gefüllt mit bärtigen Zivilisten in shalwar kameez," der Pyjama-ähnlichen traditionellen Kleidung, „viele von ihnen mit über die Knöchel gezogenen shalwar, eine bezeichnende Praxis der [ultra-orthodoxen] Tablighi Jamaat, der Nasir angehörte."
„Ihm wurde ein stabiler Raum gezeigt, in dem einst die „Währung bis an der Decke gestapelt wurde" aber nun leer war, da abenteuerlustige ISI-Beamte „Koffer voller Geld" mitgenommen haben, u.a. in die neuen unabhängigen zentralasiatischen Republiken, angeblich um sichere Häuser zu bauen und Einsätze vorzubereiten zur Unterstützung der islamischen Sache. Es gab keine Konten oder Belege für diese Geldtransfers.... Die meisten Beamten erschienen für längere Zeiträume nicht in ihren Büros, häufig aufgrund ihrer „Gebete".“
Nach dem 11. September: Musharraf förderte Islamisten weiter
Rashids Buch greift die Geschichte an der Stelle auf, wo Shuja Nawaz aufhört. „Descent into Chaos“ beschreitet völlig neue Wege in deutlichem, auffallend gut recherchiertem Detail. Es zeigt das Ausmaß, in dem die Armee und der ISI die doppelzüngige und riskante Politik der Unterstützung der radikal-islamischen Gruppen nach dem 11. September 2001 fortsetzten, trotz der vielen gegenteiligen öffentlichen Versprechen von Präsident Musharraf. Die Schnelligkeit, mit der die USA nach der erfolgreichen Invasion ihr Interesse an Afghanistan verloren und ihre Invasionspläne für den Irak, der eindeutig keine Verbindung zu al-Qaeda besaß, überzeugte die pakistanische Militärführung davon, dass es die USA mit einem langfristigen Engagement für Karzais Regierung nicht ernst meinten. Dies wiederum veranlasste sie, die Taliban als Reserve zu halten, um sie erneut für die Wiedererrichtung eines pro-pakistanischen Regimes in Afghanistan zu (be)nutzen, sobald sich die Aufmerksamkeit der Amerikaner woandershin verlagert und damit das Karzai-Regime wieder bröckeln würde.
So gewährte der ISI nur wenige Monate nach dem 11. September der gesamten Taliban-Führung Zuflucht, nachdem sie aus Afghanistan geflohen war. Mullah Omar verblieb in einem ISI-Unterschlupf in der Stadt Quetta, südlich der Stammesgebiete in Belutschistan nahe der afghanischen Grenze, während seine Milizen in Pashtunabad, einem ausgedehnten Vorort von Quetta beherbergt wurden. Gulbuddin Hikmetyar, Anführer der radikalen Mudschaheddin-Miliz Hizb-e-Islami, wurde aus seinem Exil im Iran zurück gelockt und konnte außerhalb Peshawars frei operieren, während der ISI Jalaluddin Haqqani, einem der gewalttätigsten Taliban-Kommandeure, Zuflucht in Nord-Waziristan, einem Teil der FATA, gewährt wurde.
Die pakistanische Armee chauffiert Taliban-Kämpfer
Um mit solchen Gruppen jenseits der Überwachung westlicher Geheimdienste in Kontakt zu bleiben, schuf der ISI eine neue illegale Organisation, besetzt mit ehemaligen ISI-Ausbildern und pensionierten paschtunischen Armee-Offizieren, die die Taliban in Camps rund um Quetta bewaffnet, trainiert und unterstützt haben. In Anbetracht des hohen Niveaus der militärischen Ausbildung der Lashkar Jihadis, die Bombay angegriffen haben, könnte es durchaus sein, dass ähnliche Vereinbarungen mit ehemaligen ISI-Offizieren getroffen wurden, um auch die Bombay Terroristen auf ihre Mission vorzubereiten.
2004 hat die USA gefilmt, wie pakistanischen Armee-Lastwagen Taliban-Kämpfer an der afghanischen Grenze abgesetzt und sie ein paar Tage später wieder abgeholt haben, wohingegen die drahtlose Überwachung auf den US-Stützpunkt in Bagram Taliban-Kommandeure aufgenommen hat, die mit pakistanischen Armee Offizieren an der Grenze eine sichere Durchfahrt von und nach Afghanistan arrangierten. 2005 hat die Taliban, mit verdeckter pakistanischer Unterstützung, einen umfassenden Angriff auf die NATO-Truppen in Afghanistan begonnen. Wie Rashid in seinem Fazit anmerkt:
„Heute, sieben Jahre nach dem 11. September, leben Mullah Omar und die ursprüngliche Shura (Ratsgemeinschaft) der afghanischen Taliban noch immer in der Provinz Belutschistan. Afghanische und pakistanische Taliban-Führer halten sich weiter nördlich in FATA auf, ebenso wie die Milizen von Jalaluddin Haqqani und Gulbuddin Hikmetyar. Al-Qaida hat in FATA einen sicheren Zufluchtsort gefunden, und mit ihnen eine Vielzahl von asiatischen und arabischen Terror-Gruppen, die nun ihren Aktionsradius bis nach Europa und in die Vereinigten Staaten ausdehnen.“
„Ein Selbstmordattentat ist tatsächlich die beste Form des Jihad"
Die zögerliche Reaktion von Zardari auf die Bombay-Attentate im November letzten Jahres zeigt das Ausmaß, in dem die zweigleisige Politik, sowohl die USA als auch die verschiedenen Jihadi-Gruppen zu hofieren, innerhalb des pakistanischen Militärs nach wie verankert ist. Während der letzten zehn Jahre konnte Hafiz Mohammed Saeed, dem Gründer der Lashkar-e-Taiba, von Muridke (nahe Lahore) aus operieren. Obwohl Lashkar aufgrund des Drucks der USA in Reaktion auf den 11. September offiziell verboten wurde, blieb sie praktisch weiterhin unter dem Namen Jamaat-ud Daawa bestehen, während Saeed offen zu Angriffen auf indische und westliche Ziele aufrief. Die Reden, die Rashid zitiert, zeigen, wie leicht solche Angriffe hätte vorhergesehen und verhindert werden können: „Die mächtige westliche Welt terrorisiert die Muslime", sagte Saeed 2003 auf einer Konferenz in Islamabad. „Wir werden angegriffen, gedemütigt, manipuliert und geplündert.... Wir müssen gegen das teuflische Trio Amerika, Israel und Indien kämpfen. Selbstmordmissionen stehen im Einklang mit dem Islam. Ein Selbstmordattentat ist tatsächlich die beste Form des Jihad".
Selbst jetzt, nach dem Massenmord in Bombay und obwohl Saeed mittlerweile wegen der Planung dieser Angriffe (was er bestreitet) unter Hausarrest steht, sind Madrassas und Einrichtungen seiner Organisation nach wie vor geöffnet und scheinen von der Gunst pakistanischer Behörden zu profitieren. Erst dieses Jahr genehmigte die Regierung unter Zardari den Kauf eines kugelsichere Land Cruisers für ihn. Zardari scheint sich in der Tat in einem, wie es der indische Außenminister Pranab Mukherjee nennt, „Zustand der Leugnung" hinsichtlich der Beteiligung pakistanischer Jihadi-Gruppen an dem Massaker von Bombay zu befinden.
Gefährliche Logik
Im Licht pakistanischer Machtpolitik betrachtet, hat Zardaris Position jedoch eine gewisse, gefährliche Logik. Armee-Insider sagen, dass General Ashfaq Kiyani, derzeitiger Oberbefehlshaber der Armee, der sich bereits in einem umfassenden Konflikt mit den pakistanischen Taliban in den Stammesgebieten befindet, sich nicht stark genug fühlt, um eine zweite Front gegen die Jihadis im Punjab zu eröffnen. Zardari dagegen, auch wenn er sich wünscht Lashkar und die Punjabi Jihadis los zu werden, kann es sich nicht leisten, sich dem indischen Druck unterzuordnen. Es ist eine klassische südasiatische „Zwickmühle“, die es der Lashkar erlaubt, mit kosmetischen Einschränkungen, die lediglich die USA beeindrucken sollen, weiter zu bestehen. Dennoch bleibt es eine Tatsache, dass solange keine Maßnahmen gegen diese Gruppen ergriffen und entsprechende Trainingslager geschlossen werden, der langsame Verfall des pakistanischen Staates weiter voranschreiten wird, und mit ihm die Sicherung westlicher Interessen in der Region.
Verschiedene Faktoren werden die Zukunft bestimmen. Rashid macht deutlich, dass nur mit einer radikal veränderten Politik der Vereinigten Staaten unter Barack Obama eine Kehrtwende erreicht werden kann. Er schreibt:
„Süd- und Zentralasien wird keine Stabilität erleben, solange es keinen neuen "Global Compact" (Übereinkunft) unter den führenden Akteuren gibt... um dieser Region bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen, d.h. von der Beilegung des Kaschmir-Konflikts zwischen Indien und Pakistan bis hin zur Finanzierung eines massiven Bildungs- und Arbeitsbeschaffungsprogramms im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan sowie entlang ihrer Grenzen zu Zentralasien.“
Wie Obama angedeutet hat, könnte ein solcher Ansatz mit Verhandlungen mit einigen Elementen der afghanischen Taliban verbunden werden.
Reform von ISI und Militär
Der zweite Faktor muss natürlich eine Reform des ISI und des pakistanischen Militärs sein. Top-Offiziere der pakistanischen Armee müssen ihre Besessenheit aufgeben, Indien mit einer islamistischen strategischen Doktrin, die eine Unterstützung von Jihadis mit sich bringt, ausbluten zu wollen. Und sie müssen erkennen, dass eine solche Politik absolut schädlich ist für Pakistan, und das Land zu einem Klon des von den Taliban beherrschten Afghanistans zu verwandeln droht, anstatt zu einem potenziellen Partner einer künftigen indischen Supermacht.
Ein dritter Faktor, den Rashid nicht in diesem Buch diskutiert, ist die Suche nach einem Weg, um den Madrassa-inspirierten und Saudi-finanzierten Vormarsch des wahhabitischen Islam zu stoppen, der unmittelbar mit der Verbreitung anti-westlicher Radikalisierung zusammenhängt. Bei meinem letzten Besuch in Pakistan wurde Folgendes sehr deutlich: während der wahhabitisch dominierte Nord-Westen dabei ist, unter die Gewalt der Taliban zu fallen, so trifft dies nicht für die Sufi-dominierte Provinz Sindh zu. Dort ist es derzeit ruhiger und sicherer als noch vor einiger Zeit. Hier im Süden Pakistans, an der indischen Grenze, ist der Sufi-Islam auch weiterhin ein starker Schutz gegen den puritanisch-fundamentalistischen Islam der wahhabitischen Mullahs, der die Intoleranz gegenüber jedem anderen Glauben fördert.
Wahabiten und Sufi-Islam
Beim Besuch des populären Sufi-Schreins in Sehwan / Sindh im letzten Monat war ich erstaunt von der starken Abneigung der Sindhis gegen die Mullahs. Die Sindhis, die sich an ihren großen Heiligen wie Lal Shabaz Qalander orientieren, hassen die Wahhabis, die den populären Islam der Sufi-Heiligen als eine Form der Abkehr oder Häresie kritisieren: „All diese Mullahs sollten verdammt sein", sagte ein alter Sufi, mit dem ich im Schrein redete. „Sie lesen ihre Bücher, aber sie verstehen niemals die wahre Botschaft der Liebe, die der Prophet predigte. Diese Männer sind so blind, dass sie nicht einmal die Sonne scheinen sehen können." Ein Freund, der den Schrein kurz vor mir besuchte, traf einen jungen Mann aus Swat, in der Nordwestgrenzprovinz, der sagte er habe es in Betracht gezogen, zu den Militanten zu gehen, aber ihre Anti-Sufi-Haltung habe ihn davon abgehalten: „Niemand kann die von uns respektierten Heiligen Gottes verneinen ", sagte er.
Die Saudis haben intensiv in wahhabitische Koranschulen in der Nordwestgrenzprovinz und im Punjab investiert, mit dramatischen Auswirkungen, die die religiöse Kultur einer ganzen Region verändert. Die tolerante Sufi-Kultur des Sindh konnte bisher dem importierten wahhabitischen Radikalismus trotzen. Die politisch mäßigende Wirkung des Sufismus wurde vor kurzem in einem Bericht von RAND Corporation beschrieben, in dem die Unterstützung des Sufismus als eine „offene, intellektuelle Auslegung des Islam" empfohlen wird. Hier gibt es eine völlig indigene und hausgemachte islamische Widerstandsbewegung gegen Fundamentalismus, mit tiefen Wurzeln in der südasiatischen Kultur. Ihre Bedeutung sollte nicht überschätzt werden. Könnte sie politische Auswirkung in einem Land haben, das nach wie vor von einer militärischen Streitkraft geprägt ist, die noch immer Jihadi-Gruppen finanziert und trainiert? Es ist eine der wenigen Quellen der Hoffnung in der zunehmend düsteren politischen Landschaft dieses strategisch wichtigen Landes.